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Pässe und Bergstraßen per Fahrrad

Mit dem Rennrad und dem Mountainbike
unterwegs auf einigen der berühmtesten Anstiege der Welt

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Uturuncu 5.768m
Höchste mit Fahrrad zu bewältigende Bergstraße Südamerikas

Eine der höchsten mit dem Rad bezwingbaren Straßen der Welt führt im Südwesten Boliviens am dortigen Vulkan Uturuncu bis auf eine maximal erreichbare Höhe von 5.768 Metern. Bis Mitte der 90er Jahre gab es auf dem Nebengipfel des Vulkans eine Schwefelmine, die über diese Straße erschlossen war. Seither wird die Piste nur noch von einigen einheimischen Guides für touristische Zwecke weitgehend instandgehalten und bis in den Sattel zwischen den beiden Gipfeln grob von vulkanischem Geröll befreit. Keine andere Piste im bolivianisch/chilenischen Grenzgebiet des Altiplano bzw. der Atacama erreicht diese Höhe (vgl. die Infos zu den höchsten mit dem Fahrrad befahrbaren Pisten sämtlicher Kontinente).

Talort: Quetena Chico 4.160m
Starthöhe: 4.673m
Höhenmeter: 1.210m
Distanz: 13km
November 2013


Auf den ersten fünf Kilometern beträgt die Steigung knapp acht Prozent, erhöht sich dann auf durchgehend mehr als 10% zwischen 5.100m und 5.600m, um dann abschließend im oberen Teil wieder etwas flacher zu werden.





Vom Basislager im Örtchen Quetena Chico bietet sich der Blick auf den Vulkan Uturuncu im Hintergrund. Deutlich erkennbar ist der Doppelgipfel, wovon der rechte Hauptgipfel eine Höhe von über 6.000 Metern erreicht. Die Straße führt in den Sattel zwischen den beiden Gipfeln.


Nach zweiwöchiger Höhenanpassung geht es früh morgens bei eisiger Kälte zunächst im Begleitfahrzeug ab Quetena Chico los. Nach etwa 15 Kilometern Autofahrt startet auf diesem ersten Bergrücken des Vulkans mit den ersten wärmenden Sonnenstrahlen auf etwa 4.670 Metern der eigentliche Aufstieg per Rad. Mein Drahtesel hat sich für diesen besonderen Anlass extra hübsch gemacht mit neuem Innenlager, neuem Kranz mit größerem Ritzel, neuer Kette und neuem Lenker.


Der Weg zum Gipfel beginnt harmlos und ist in diesem unteren Teil gut fahrbar. Der Uturuncu ist ein schlummernder Gigant, der von Geologen als einer von weltweit sieben Supervulkanen eingestuft wird. Unter einer Fläche mit rund 70 Kilometern Durchmesser wird eine riesige Magma-Blase vermutet, die irgendwann mit fatalen Folgen für das Weltklima in die Luft gehen wird. Das gesamte Bergmassiv hebt sich jährlich um ein, zwei Zentimeter an.


Nach Absolvierung der Hälfte der Gesamtdistanz wird der weitere Verlauf des Weges deutlich: Die Strecke führt von rechts kommend unterhalb des Hauptgipfels über das helle Schwefelfeld, dann weiter über den dunklen Geröllvorsprung und abschließend quer hinüber in Richtung Nebengipfel (links) bis in den Sattel.


Blick zurück auf die Fahrspur, die mit zunehmender Höhe immer sandiger wird. In über 5.000 Meter zeigen die große Höhe und der damit verbundene Sauerstoffmangel ihre Tücke. Eine Piste, die 3.000 Meter tiefer relativ problemlos fahrbar wäre, wird hier zum brutalen Gegner. Kleine Fahrfehler werden in dem tiefen Sand sofort bestraft und führen zum Abwurf aus dem Sattel. Der Puls ist deutlich höher als sonst und schraubt sich schnell in anaerobe Werte, wenn man versucht, wieder anzufahren. Erste Schiebepassagen folgen...


Der Weg wird zur Qual und zur absoluten Grenzerfahrung für den Körper. Auch wenn es nicht so aussieht, aber wir sind hier deutlich über 5.000 Meter und der Sauerstoffpartialdruck beträgt nur noch die Hälfte desjenigen auf Meeresniveau. 10%-Steigung sind in dieser Höhe faktisch kaum noch machbar. Man japst nach Luft und hat das Gefühl, als würde man von einer unsichtbaren Kraft festgehalten werden.


Das Ganze wird auch zu einer enormen mentalen Herausforderung, da der Weg technisch eigentlich fahrbar ist, aber der Körper wegen des Sauerstoffmangels einfach nicht kann. Radschieben statt Radsport: Zwischen 5.200m und 5.600m muss ich überwiegend schieben. Es helfen nur noch Psychotricks: Eine Tafel Schokolade von zuhause und das Foto meiner lächelnden Tochter auf dem Lenkervorbau motivieren zum Weitermachen.


Das erste Schwefelfeld unterhalb des Hauptgipfels macht deutlich, dass wir hier auf einem Vulkan unterwegs sind. Das warme Schwefelgestein verbreitet unangenehmen Geruch wie von faulen Eiern bzw. von Schwarzpulver. Dafür bietet sich ein grandioser Ausblick auf den bolivianischen Altiplano.


Nach kilometerlanger Schinderei kommt leichte Erlösung: Die Steigung nimmt etwas ab und man kann wieder fahren.


Im Übergang vom ersten Schwefelfeld zur Querung Richtung Nebengipfel verengt die Fahrspur deutlich und es geht neben der Piste ungesichert steil abwärts. Es folgt eine stark steinige Passage - eine der wenigen Stellen, die vielleicht auch in Alpenhöhe kaum fahrbar wäre.


Weiter geht es in Richtung des vor uns liegenden Nebengipfels. Hinter dem dunklen Geröllfeld links bei den schwach erkennbaren Schneeresten lag früher die Schwefelmine auf knapp 5.900m.


Blick zurück auf das Begleitfahrzeug, das stets in Sichtweite bleibt. Der bolivianische Fahrer war lange Jahre als Minenarbeiter in den Vulkanen im bolivianisch/chilenischen Grenzgebiet tätig und kennt den Weg sehr genau. Er zählt zu den wenigen Fahrern, die diesen Weg gelegentlich per Allradfahrzeug bewältigen. Andere Fahrzeuge, die Bergsteiger an den Vulkan heranführen, halten in der Regel deutlich weiter unten an einem Parkplatz (der helle Fleck ganz rechts unten an der Strecke).


Kurz unterhalb des Sattels zeigt sich die Natur plötzlich unerwartet von ihrer freundlichen Seite: Ein starker Nordwestwind kommt auf und schiebt Rad und Fahrer Richtung Ziel. Dies gibt die Gelegenheit, den Sattel tatsächlich fahrend zu erreichen, was nach den langen Schiebepassagen eine Wohltat für Geist und Körper darstellt.


Der Sattel ist erreicht. An dieser Stelle messen zwei mitgeführte GPS-Geräte 5.768m bzw. 5.770m. Für die Koordinaten Breite -22.263784, Länge -67.181207 bestätigt Google Maps eine Höhe von 5.768m. Google Earth gibt dort 5.775m an. Hinten rechts ist der weitere Verlauf des Weges am Nebengipfel hoch zur ehemaligen Schwefelmine erkennbar (dieser Weg ist auch auf dem obigen Satellitenbild bei entsprechender Skalierung deutlich identifizierbar).


Auch das Begleitfahrzeug schafft es bis in den Sattel und liefert den Beleg, dass der Weg entgegen gelegentlich zu lesender Berichte keineswegs unpassierbar verschüttet, sondern (im November 2013) bis oben hin fahrbar ist.


Im Hintergrund das südliche Ende der Cordillera de Lipez mit dem Cerro Zapaleri. Der Vulkan markiert die Grenze zu Argentinien und Chile.


Fazit: Für den Erfolg am Uturuncu sind drei Dinge entscheidend: Höhenanpassung, Höhenanpassung und nochmals Höhenanpassung. Außerdem schadet nennenswerte Erfahrung mit Radsport in großen Höhen über 4.000 Meter sicherlich nicht. Es bleibt die grundsätzliche Frage, ob man als Hobbyradler in über 5.000 Meter Höhe bei Steigungen von über 10% überhaupt noch Ausdauersport mit entsprechend hohem Puls betreiben kann. Technisch ist der Uturuncu zu über 90% fahrbar, die Qualität der Höhenadaption entscheidet aber darüber, wieviel Prozent des Weges dann tatsächlich gefahren werden können (bei mir waren es etwa 65%). Dennoch bleibt ein großartiges Erlebnis in gigantischer Kulisse des bolivianischen Altiplano mit faszinierenden Blicken auf aktive Vulkane und bunte Lagunen, in denen Flamingos und Lamas planschen.


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Expedition Uturuncu
Höhenanpassung

Woche vor Abreise

Erstmals vor einer großen Tour wähle ich eine Form der teilweise heimischen Höhenanpassung. Ein Höhengenerator simuliert Sauerstoffarmut, die passiv per Maske eingeatmet wird (fünf Tage jeweils 75 Minuten abends vor dem Fernseher bis 6.000m) bzw. in ein Hypoxiezelt geleitet wird, wobei die Sauerstoffsättigung des Blutes ständig mit einem Pulsoximeter überwacht wird. Die so simulierte große Schlafhöhe (fünf Nächte bis 4.000m) gibt dem Körper Impulse zur Bildung roter Blutkörperchen und damit zur Adaption an die große Höhe. Dies erspart Zeit und Geld (fehlt beides) für die sonst eigentlich gebotene langwierige Anpassung vor Ort in Bolivien. Meine Freundin fügt sich ihrem unromantischen Schicksal, sie hält mich für irre...


Ankunft in La Paz / Weiterflug nach Uyuni

Leichte Enttäuschung bei Ankunft in La Paz. Auf dem Flughafen in 4.100m sind die Beine wackelig und die Sauerstoffsättigung im Blut liegt im Hotel auf 3.600m zunächst nur bei 84% - da hatte ich nach meinen Nächten im Hypoxiezelt bessere Werte erwartet. Die kritische erste Nacht verläuft aber problemlos und der SpO2-Wert steigt relativ schnell. Mit einer abenteuerlichen Propellermaschine geht es am nächsten Tag nach Uyuni an den größten Salzsee der Welt. Übernachtung auf 3.700m.


Vulkan Tunupa / Salar de Uyuni

Es folgt eine Akklimatisationswanderung bis auf 4.500m am Vulkan Tunupa mit Besuch einiger mumifizierter Prä-Inka Einheimischer, die dort seit etwa 800 Jahren im Berg ruhen. Dem schließt sich ein erstes beeindruckendes Erlebnis auf dem Rad an: Eine Querung des Salzsees vom Vulkan Tunupa bis zur Isla Incahuasi: 50km auf 3.700m Höhe im Grundlagen-Pulsbereich, ideale Trainingseinheit! Es bleibt die Hoffnung, dass das gefräßige Salz nicht allzu viel Schaden im Innenleben meines Drahtesels anrichtet, drei Tage muss das Ding noch bis zum Uturuncu durchhalten.


Lagunenroute

Die folgenden zwei Tage geht es mit dem Allradfahrzeug durch den Süden Boliviens durch hohe Wüsten an diversen Flamingo-Lagunen vorbei bis zur 4.900m hohen Sol de Manana, bei der heiße Geysire aus dem Inneren dampfen. Zur weiteren Akklimatisation wird noch ein namenloser Berg zu Fuß bis auf 5.100m erklommen. Wilde Vicunas weiden neben bunten Lagunen, die je nach Sonneneinstrahlung und Windstärke dunkelrot oder grün leuchten und eine beeindruckende Kulisse vor qualmenden Vulkanen liefern. Die Schlafhöhen liegen bei bis zu 4.500m. Am Ende des sechsten Tages ist das Basislager Quetena Chico erreicht und die Sauerstoffsättigung zeigt mittlerweile erstaunlich gute Werte von stabilen 90% in 4.000 Meter Höhe an. Am siebten Tag geht es dann endlich auf den Uturuncu...



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